Schaut man sich den Begriff Mindset einmal an, so kann man zahlreiche Übersetzungen ins Deutsche auftun: Einstellung, Denkweise, Haltung, Mentalität oder Weltanschauung. Auf den ersten Blick mögen alle diese Übersetzungen dicht beieinander liegen – jedoch ist eine Weltanschauung oder Mentalität sehr viel komplexer und vielschichtiger als eine Haltung oder Einstellung.
Daher habe ich mir als nächstes den englischen Wikipedia-Eintrag zur Brust genommen, der frei übersetzt folgendes preisgibt:
In der Entscheidungstheorie und der allgemeinen Systemtheorie ist das Mindset eine Reihe von Annahmen, Methoden oder Vorstellungen, die von einer oder mehreren Personen oder Personengruppen vertreten werden. Eine Denkweise kann auch als Ergebnis der Weltanschauung oder Lebensphilosophie einer Person betrachtet werden.
In diesem Kontext wird es häufig mit “Mentalität” übersetzt.
Daraus ergibt sich für mich der folgende Rückschluss: Hinter dem aktuell inflationär gebrauchten Terminus verbirgt sich ein überaus diverser und komplexer Baustein der individuellen Persönlichkeit. Vor diesem Hintergrund bekommt der oft lapidar dahin gesagte Satz: “Du musst dein Mindset ändern” einen interessanten Twist: “Du musst deine Mentalität ändern” würde man wahrscheinlich weniger leichtfertig sagen. Schließlich ist die menschliche Mentalität ein psychologisches Konstrukt, welches aus so vielen Einflüssen (Erziehung, Kultur, Erfahrungsschatz, etc.) besteht, dass man es nicht einfach ändern kann wie seine E-Mailadresse. Und auch das ist schon so manche:r schwergefallen.
Growth vs. Fixed Mindset oder: Augen auf bei Idealtypologien
Was in Anbetracht dieser Erkenntnis ebenfalls unseriös anmutet, ist die Annahme, es gebe ein “richtiges” und ein “falsches” Mindset [Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3]. Und, dass man mit ein paar einfachen Tipps und Tricks vom einen ins andere wechseln könne.
Falsch wäre laut dieser Logik das sogenannte “fixed mindset”. Deren Besitzer:innen sind der Meinung, dass Dinge unveränderlich sind, auf Misserfolge reagieren sie negativ. Demgegenüber steht das “growth mindset”. Wer damit ausgestattet ist, möchte lernen, sich weiterentwickeln und sieht auch Fehler als Chance für Wachstum. Klar, welches Mindset wir uns für unsere Mitarbeitenden wünschen, oder?
Auf den ersten Blick fallen einem für beide Extreme sicher einige Beispiele ein: vielleicht gute Freunde, die in einer privaten oder beruflichen Zwickmühle stecken und sich partout nicht selbst daraus befreien können.
Dazu zwei Gedanken:
- Wie bei Idealtypen in sozialwissenschaftlichen Theorien üblich, finden sich in der Realität selten Vertreter:innen des ein oder anderen Extrems. Menschen sind komplex und daher meist Mischtypen.
Wer sich also aus einer ungesunden Beziehung nicht lösen kann oder nach einer Trennung in ein tiefes Loch fällt, hat mit der beruflichen Weiterentwicklung nicht zwangsläufig auch Probleme. Hat diese Person jetzt ein fixed oder growth mindset?! - Das Feststecken in einer toxischen Situation oder einer veralteten Denkweise allein der betroffenen Person anzulasten, vernachlässigt eklatant alle äußeren Faktoren, die 1. bei der Konstitution der Mentalität eine Rolle spielen und 2. zur konkreten Situation beitragen.
Botschaften, die ankommen
Das durchschnittliche menschliche Gehirn muss pro Tag 34 Gigabyte Informationen verarbeiten. Demgegenüber steht unsere sinkende Aufmerksamkeitsspanne: Die meisten Menschen schaffen es heute lediglich 8 Sekunden sich auf einen Sachverhalt zu konzentrieren. Wie also platziert man Botschaften so, dass sie nicht auch noch im Hintergrundrauschen versinken?
Konstruktivität vs. Killerphrase
Nicht nur, dass die dichotome Unterscheidung zwischen “richtig” und “falsch” die Komplexität von Mensch und Umstand außer Acht lässt – sie ist außerdem wenig konstruktiv. Ein richtiges Mindset impliziert, dass sich dadurch jedes Problem, egal welcher Natur, lösen ließe. Das ist natürlich Quatsch.
Ein Beispiel:
Nehmen wir an, ich bin in eine berufliche Sackgasse geraten. Meine Arbeitsbelastung hat ein Level erreicht, das sich von mir alleine auch mit Überstunden nicht mehr bewältigen lässt. Aus Projektmanagement-Sicht würde ich ganz klar sagen: Prioritäten setzen und aussieben – vorausgesetzt, dass an anderer Stelle keine Ressourcen mehr freigesetzt werden können. Ich spreche mit meiner Vorgesetzten und weise sie darauf hin, dass der Workload für eine Person im gesetzten Zeitrahmen nicht zu schaffen ist. Darauf erhalte ich nur die Ansage: “Dann stimmt dein Mindset nicht.”
Natürlich ist es für meine fiktive Vorgesetzte sehr viel einfacher, das Problem zu individualisieren – also mir die alleinige Verantwortung für die Lösung zu übertragen, als selber aktiv zu werden und sich womöglich irgendwo unbeliebt zu machen. Und mehr noch: Da das Problem ja offenbar mein Mindset ist, also in meinem Kopf sitzt, gibt es keinen Grund, mich bei dieser Lösung irgendwie zu unterstützen.
Derartig unkonstruktive Scheinargumente kennt man auch als Killerphrasen oder Totschlagargumente. Wir gebrauchen sie gerne, um unangenehme Themen abzuschmettern, damit wir uns nicht weiter mit ihnen befassen müssen. Außerdem gerne genommen: “Das haben wir schon immer so gemacht.”
Ein außerdem netter Nebeneffekt: Wer sich mit sich selbst beschäftigt, hat weniger Zeit, dysfunktionale Systeme zu hinterfragen. Wenn ich also meine Mitarbeitenden dazu bekomme, an ihrem Mindset herumzuarbeiten, dann haben sie weniger Zeit und Muße, zweifelhafte Unternehmens- und Führungskulturen in Frage zu stellen. Auch schön.
Irgendwo zwischen Selbstschutz und persönlichem Angriff
Wir merken uns also: Für die Lösung eines konkreten Problems sind Verweise auf die Änderung des Mindsets oftmals wenig hilfreich. Außerdem stellen sie einen persönlichen Angriff dar. Mit Rückbezug zur Mentalität: Unser Mindset ist ein schwer zu durchschauendes und höchst individuelles Konstrukt. Der Soziologe Theodor Geiger bezeichnet Mentalität als „subjektive Ideologie“. Er kommt zu dem Schluss, dass die Mentalität eines Menschen in erster Linie das Ergebnis der Umstände ist, unter denen er oder sie aufwächst und lebt.
Um an dieser Stelle auch gleich ein bisschen Sozialkritik einzustreuen: Man kann – mit Bezug auf Geiger – annehmen, dass jemand, der in einem wohlhabenden Elternhaus mit Sicherheiten aufwächst und einen entspannten Umgang mit Geld und Investitionen lernt, eher ein “growth mindset” entwickelt als jemand, der in Armut aufwächst und jeden Cent mehrmals umdrehen muss.
Menschliche Verhaltensmuster sind oft das Ergebnis eines langen Prägungsprozesses – man kann sie nicht ohne Weiteres ablegen. Ich kann selber ein Lied davon singen. Seinen Mitarbeitenden also vorzuwerfen, sie hätten ein falsches Mindset, stellt direkt das in Frage, was sie zu der Person gemacht hat, die er oder sie nunmal ist. “Du bist, so wie du bist, nicht okay” – das hört niemand gerne.
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Aber was machen wir denn jetzt mit diesem Mindset?
… schließlich werden Aussagen wie diese regelmäßig bemüht, um Manager:innen Angst zu machen: Transformationen scheitern am Mindset!
Und ganz falsch ist das nicht. Wenn die Betroffenen eine kritische Haltung gegenüber der Transformation bzw. ihrem anvisierten Ziel einnehmen, wird es schwierig mit der Umsetzung. Hier liegt meiner Ansicht nach jedoch der sprichwörtliche Hase im Pfeffer: Haltung, nicht Mentalität. Und das ist ein signifikanter Unterschied und nicht bloß Wortklauberei. Was, denken Sie, kann man einfacher ändern: eine Haltung oder die eigene Mentalität?
Haltungen/Einstellungen existieren oft gegenüber ganz konkreten Problemstellungen oder Sachverhalten. Das wird schon in sprachlichen Formulierungen deutlich: Ich bin der Digitalisierung gegenüber positiv eingestellt oder ich halte nichts von Onlinebanking. Natürlich mag es gewisse Zusammenhänge geben zwischen der Persönlichkeitsstruktur einer Person und ihren Einstellungen zu konkreten Fragen – nichtsdestotrotz ist es ein himmelweiter Unterschied, ob ich jemanden zur Nutzung von Onlinebanking bewegen möchte oder seine Weltanschauung infrage stelle.
Was folgt daraus fürs erfolgreiche Change Management?
Noch einmal kurz zusammengefasst, weshalb wir uns von der Mär des falschen Mindsets verabschieden sollten:
- Es gibt kein universell richtiges Mindset. Konkrete Herausforderungen benötigen konkrete Lösungsansätze.
- Der englische Begriff mindset lässt bei der Übersetzung ins Deutsche zu viel Spielraum: Es macht einen Unterschied, ob ich die Haltung einer Person in einem bestimmten Kontext zu ändern beabsichtige oder gleich einen Teil der Persönlichkeit.
- Die individuelle Ebene ist nur ein Teil der Transformation: Die passende Haltung der Betroffenen kann nicht ohne das notwendige Umfeld entstehen.
Wenn Change-Manager:innen diese Leitsätze verinnerlicht haben, ist schon einiges gewonnen und den Betroffenen viel erspart geblieben. Ergänzend dazu folgen noch ein paar praktische Leitgedanken, die Eingang in das eigene Change-Konzept finden können:
- Keine Vorträge über digitale oder agile Mindsets vor Mitarbeitenden halten. Die Arbeitsebene hält (m.E. zu Recht) wenig von Manager:innen- oder Berater:innen-Sprech und abstrakten Management-Theorien. Damit machen die Vortragenden nur deutlich, dass sie a) nicht über konkrete Dinge sprechen wollen oder b) es nicht können.
Was stattdessen besser wäre: Auf der Sachebene überzeugen und den Betroffenen die folgenden Fragen glaubhaft beantworten: 1) Warum ist die Transformation notwendig? 2) Was springt für mich dabei raus? - Keine Gräben aufbauen oder vertiefen. Im Rahmen von Transformationen entstehen sie schon automatisch – dichotome Konzepte wie “richtig” und “falsch” werden diese nur zusätzlich verstärken, es werden Fronten von wir Fortschrittler gegen die Bremser etc. eröffnet, was das Projekt zusätzlich gefährden kann.
Besser: Teamgeist stärken. Veränderungen bedeuten für den/die Einzelne:n oft Stress und mit Stress und Sorgen können Menschen besser umgehen, wenn sie wissen, dass sie nicht alleine sind. Konkrete Maßnahmen können z.B. gut geschulte Führungskräfte oder Coaches sein und das Mitdenken von Teambuilding über das gesamte Veränderungsmanagement hinweg. - Sich nicht hinter Ambiguitäten verstecken. Viele Begriffe und Konzepte bieten Interpretationsspielraum. Ich habe nicht wenige Male erlebt, dass Kund:innen bei dem Begriff „agile Organisation“ vollkommen unterschiedliche Assoziationen haben: Die einen denken direkt ans agile Manifest und nach SCRUM arbeitende Softwareentwickler, die anderen hoffen, dass sie endlich unkompliziert aus dem Homeoffice arbeiten dürfen. Insbesondere in Veränderungsprozessen, in denen noch viele Unklarheiten herrschen oder unangenehme Sachverhalte kommuniziert werden müssen, verstecken sich Berater:innen und Führungskräfte oft hinter schwammigen Formulierungen. Das kann unter Umständen strategisch sinnvoll sein, in den meisten Fällen führt es aber zu unterschiedlichen Auffassungen, die sich im Laufe des Prozesses verselbstständigen können und dann schwer wieder einfangen lassen.
Daher lieber: Klartext sprechen, Begriffe definieren, Beispiele nennen und somit sicherstellen, dass alle Beteiligten auf derselben Flughöhe unterwegs sind. Wie gesagt: Mitarbeitende, denen deutlich kommuniziert wurde, dass eine Transformation nicht an den Grundpfeilern ihrer persönlichen Weltanschauungen rütteln möchte, gehen entspannter mit Change um, als wenn sie es nur vermuten können.
- Nicht den Respekt vor der persönlichen Ebene verlieren. Berufliches und Privates lassen sich in der Realität nicht immer so leicht voneinander trennen, wie man sich das wünscht. Mitarbeitende geben ihre Persönlichkeit nicht an der Werks- oder Bürotür ab. Wie wir auf berufliche Situationen reagieren, hängt entscheidend von unserer individuellen Beschaffenheit ab. Gut gemeinte Ratschläge können umso schneller als persönliche Kritik aufgefasst werden. Das darf auch im Change-Prozess nicht vergessen werden.
Daher wichtig: Auf der konstruktiven Ebene bleiben und sich dabei gerne von Außenstehenden challengen lassen. Als Projektverantwortliche:r kann es schnell passieren, dass man sich zu stark persönlich mit seinen Aufgaben identifiziert und darüber betriebsblind wird. Ein regelmäßiger Realitätscheck für das gesamte Projektteam darf insbesondere in kritischen Phasen nicht zu kurz kommen, Führungskräfte sollten entsprechend in der Mitarbeitendenkommunikation geschult werden.
Bleibt mir nur noch zu sagen: Goodbye and good luck!