All diese Fragen stelle ich mir im nachfolgenden Text. Dazu vorab ein Disclaimer: Dieser Text wird Ihnen nicht verraten, was die ideale Organisationsform ist oder wie man sich am besten agil organisiert. Es wird am Ende auch keine eindeutige Empfehlung pro oder contra Hierarchien geben oder ein Bashing agiler Methoden. Dieser Text ist lediglich der Versuch eines Gegenentwurfes zum unreflektierten Managementberater-Einheitsbrei (Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3), der durch die sozialen Netze und den Rest des WWW geistert. Es geht nicht um richtig oder falsch. Es geht um eine Einordnung, einen Denkanstoß. Es geht mir darum, Fragen zu stellen, die für meinen Geschmack zu leise oder zu selten gestellt werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
1. Warum gibt es Hierarchien in Organisationen? Welche Aufgaben erfüllen sie?
Bevor wir die Abschaffung von etwas fordern, müssen wir uns zuerst vergegenwärtigen, warum dieses Etwas überhaupt da ist und welche Zwecke es erfüllt. Wären Hierarchien nutzlos und hemmend, hätten sie sich wahrscheinlich gar nicht so lange in den zwischenmenschlichen Beziehungen gehalten. Ja, ich spreche hier bewusst von zwischenmenschlichen Beziehungen – und könnte den Rahmen eigentlich noch weiter fassen: die Ordnung von Dingen ganz generell. Tatsächlich finden sich Hierarchien überall, denn eine Hierarchie ist für sich genommen nichts anderes als eine Form der Ordnung. In der Biologie zum Beispiel – konkret in der Taxonomie – gliedert man die verwandtschaftlichen Beziehungen von Lebewesen (und Viren) in einem hierarchischen System.
Gut, ich vermute, niemand ist wegen einer Nachhilfestunde in Biologie hier. Dennoch finde ich es wichtig, sich bewusst zu machen, dass hinter dem aktuell viel gegeißelten Begriff Hierarchie erstmal nicht viel mehr steht als eine Art, Dinge anzuordnen.
Apropos Ordnung: Mit Blick auf Hierarchien in Organisationen fällt einem zuerst wahrscheinlich das gute alte Organigramm ein. Damit einher geht der Begriff der Aufbauorganisation, die Wikipedia wie folgt beschreibt:
“Die Aufbauorganisation bildet das hierarchische Gerüst einer Organisation (z. B. einer Behörde oder eines Unternehmens). Sie beschreibt den vertikalen Informations- und Direktivenfluss in einer Organisation, also wer welche Entscheidungen von wem bekommt und an wen diese weitergegeben werden. Damit beschreibt sie die Organisation formaler Macht. Die Aufbauorganisation wird im sogenannten Organigramm formal dargestellt.”
Damit haben wir doch schon einmal einen guten Überblick über die Funktionen, die Hierarchien innerhalb von Organisationen erfüllen (sollen):
- Steuern von Informationsflüssen (Kommunikation)
- Festlegen von Weisungs- und Entscheidungsbefugnis
- Verteilung von formaler Macht ganz generell.
Bevor wir uns im nächsten Schritt anschauen, wie und von wem diese Funktionen in agilen Methoden zur Organisation wahrgenommen werden, möchte ich gerne noch ein bisschen mehr auf den Machtbegriff eingehen. Der Soziologe Stefan Kühl spricht im Kontext der Hierarchie zur “Lenkung von Untergebenen” über drei Arten von Macht im Besonderen:
- die “Exit-Macht”, die Befugnis Untergebene abzumahnen, versetzen zu lassen oder letztendlich auch zu entlassen,
- die “Karriere-Macht”, etwas subtiler als die “Exit-Macht” aber ähnlich: Einfluss zu nehmen auf das berufliche Fortkommen der Untergebenen,
- die “Ressourcen-Macht”, die Möglichkeit, die Ressourcen Zeit, Geld und Personal zuzuteilen.
Wie diese Macht verteilt ist, lässt sich – zumindest formal – ebenfalls prima aus einem Organigramm ablesen. Dass es aber auch horizontale Informationsflüsse und informale – quasi – bottom-up-Machtressourcen gibt, die von Managementratgebern gerne ignoriert werden, darauf möchte ich gerne etwas ausführlicher im zweiten Teil eingehen. (Ja, es wird mindestens noch zwei weitere Teile geben, um diesem Thema zumindest annähernd gerecht zu werden, stay tuned.)
Warum ich diese drei Dimensionen von Macht hier für erwähnenswert halte? Weil sie die oben genannten – sehr prozessorientierten – Zwecke (Information, Weisung, Entscheidung) um die, wie ich finde, wichtige menschliche Komponente ergänzen. Menschen, die sich in einer Organisation zusammengefunden haben, haben dies in der Regel, um ein Produkt oder eine Dienstleistung zu generieren und damit in einem Markt zu bestehen. Damit dies passieren kann, müssen Informationsflüsse gesteuert, (An-)Weisungen erteilt und Entscheidungen getroffen werden. Die beiden letzten Punkte hängen eng miteinander zusammen: Oft leiten sich Arbeitsaufträge aus zuvor getroffenen Entscheidungen ab.
Aber: In einer Organisation finden sich Menschen zusammen. Diese Menschen bringen ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, Ziele und Agenden mit an ihren Arbeitsplatz, ob die Manager:innen und Berater:innen das gut finden oder nicht. Die eine möchte ihre Karriere voranbringen, der andere nur Dienst nach Vorschrift machen und ein regelmäßiges Einkommen mit nach Hause nehmen. Einer ist sehr dominant, eine andere fliegt lieber unter dem Radar – und trotzdem müssen all diese unterschiedlichen Charaktere ihre Arbeit machen. Denn auch, wenn Vorgesetzte sich das manchmal wünschen, geben Arbeitnehmer ihre privaten Gedanken und Gefühle nicht an der Werkstür ab. Nicht ohne Grund ist eine Hauptaufgabe von Führungskräften das Managen von Persönlichkeiten. Darunter fällt die Mitarbeitermotivation genau so wie das Schlichten von Konflikten. Und um diese – zugegeben nicht immer einfache – Aufgabe auch bewältigen zu können, sind sie eben mit magischen Waffen wie Exit, Karriere und Ressourcen-Macht ausgestattet.
Die “Karriere-Macht” kann zur Motivation genutzt werden, ebenso wie zur Abmahnung bei unerwünschtem Verhalten. Auch durch die Zuteilung von Ressourcen kann Wertschätzung ausgedrückt oder Druck aufgebaut werden, wenn Ressourcen entzogen werden. Dadurch, dass Hierarchien diese Befugnisse klar festschreiben, wissen alle Beteiligten in der Regel, woran sie sind und was sie von wem zu erwarten haben.
Löst man diese klaren Verhältnisse auf – sei es durch die Einführung kleiner, selbstorganisierter Teams oder die Reduktion von Managementebenen – stellt sich die Frage: Wohin geht die Macht? (Manager:innen sprechen wahrscheinlich lieber von Kompetenz.)
2. Was machen agile Ansätze anders?
Eingangs hatte ich gesagt: Es sei wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Hierarchie nicht unbedingt mehr ist als eine Organisationsform. Dies ist nun die Stelle, an der ein berechtigter Einwand folgt: Strukturen sind von Menschen gemacht, also können Menschen sie auch ändern! Richtig. Anders, als physikalische Hierarchien können organisationale Hierarchien geändert werden. Trotzdem müssen weiterhin die oben genannten Anforderungen erfüllt werden. Dann eben anders. Auf zwei Formen (SCRUM und Holakratie/Holacracy) möchte ich etwas genauer eingehen. Vorab ein paar generelle Gedanken dazu.
2.1 Flexibilisierung: Rollen statt Positionen
Starre Hierarchien sollen durch flexible Ansätze ersetzt werden. Diese Forderung und Vorschläge für deren Umsetzung sind Kernbestandteil vieler derzeit propagierter Managementmethoden. Statt eine feste Position innerhalb einer klaren Hierarchie innezuhaben, sollen Mitarbeiter:innen Teil mehrerer Teams sein können und dabei jeweils unterschiedliche Rollen einnehmen. Diese Rollen sollen dann die Positionen ersetzen und sind mit Beschreibungen über Befugnisse und Pflichten (Ziele) versehen.
Das ist die ungefähre Zusammenfassung sämtlicher Beiträge, die ich zu dieser Thematik finden konnte, wenn auch stark komprimiert (Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3). Was ich dabei häufig beobachte: die Vermischung von Rollen und Funktionen.
Ob hierarchisch organisiert oder nicht – Mitarbeiter:innen haben in der Regel ein irgendwie geartetes Tätigkeitsprofil (oder ganz profan: die Stellenbeschreibung), das festlegt, welchen Zweck er oder sie erfüllen soll und welche inhaltlichen Aufgaben sich daraus ableiten. Das ist ihre Funktion. Welche Aufgaben ein:e SCRUM-Master:in in seinem/ihrem Team erfüllt, ist seine/ihre Funktion.
Als Rolle versteht man hingehen etwas anderes und zwar Verhaltenserwartungen, die an die Inhaber:innen von Positionen/Funktionen gerichtet werden. Was ist damit gemeint?
Ein Beispiel: Ich bin z.B. Teamleiterin im mittleren Management. Meine Teammitglieder erwarten von mir ein anderes Verhalten als meine Vorgesetzen – für den/die eine:n bin ich Coach und Mentor in einem schwierigen Projekt, für den/die andere:n vielleicht auch nur eine Erfüllungsgehilfin.
Wichtig hierbei: Diese Rollen sind von unzähligen Faktoren abhängig (Situation, persönliche Beziehung, Unternehmenskultur) und daher auch nirgends niedergeschrieben. Außerdem definiert sich eine Rolle immer aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Erwartungen.
2.2 Rollencanvas und Stellenbeschreibungen
Gut. Sprechen wir nun in diesem Moment trotzdem von Rollen statt von Funktionen. Was Rollen nämlich von profanen Stellenbeschreibungen unterscheiden soll, ist, dass sie stets aktuell und damit agil und flexibel anpassbar seien. Ich bin in diesem Zusammenhang über den Satz gestolpert: “Eine Stellenbeschreibung ist schon in dem Moment nicht mehr aktuell, in dem sie aus dem Drucker kommt.” (Brian Robertson, hier nachzulesen).
Ob diese Behauptung zutrifft, wurde bislang nicht belegt. Ob und wenn ja was ein Rollencanvas einer schnöden Stellenbeschreibung voraus hat, habe ich mir anhand dieses Exemplars einmal angeschaut:
Darin findet sich eine Beschreibung der Rolle, die Hauptaufgaben und Verantwortlichkeiten, die Ziele, welche Fähigkeiten verlangt werden, wie der Entscheidungsrahmen gesteckt ist (“Stufe im Delegation Board” klingt verdächtig nach Hierarchie), Arbeitsprinzipien könnten Softskills sein. Liest sich für mich, um ehrlich zu sein, wie eine Stellenbeschreibung. Und wenn man Stellenbeschreibung bei Google eingibt, findet man auch die folgende Liste:
Was ist also das bahnbrechend neue an Rollencanvassen? -canvessi? -cansesses? Um sie an sich verändernde Anforderungen anzupassen, muss man sie genauso neu schreiben, wie die klassische Stellenbeschreibung auch. Um Rollen in Teams agil zu halten, müssten sie ja (wahrscheinlich) in kurzen Abständen immer und immer wieder aufs Neue definiert und hinterfragt werden. Und sofern dieser Prozess einen Workshop mit allen beteiligten Teammitgliedern bedeutet, ist das ein ziemlich ressourcenintensiver Prozess. Wie soll man denn ans Arbeiten kommen, wenn morgens noch keiner weiß, was eigentlich von ihr/ihm erwartet wird?
Auch die flexiblen Rollen finden sich also in einem Spannungsfeld zwischen absoluter Flexibilität auf der einen und totaler Stabilität auf der anderen Seite.
Die Einbeziehung von Beteiligten in die Definition von Funktionen, Zielen und Verantwortlichkeiten hingegen klingt sinnvoll, ebenso wie das regelmäßige re-evaluieren von derartigen Profilen, was in vielen HR-Departments sicherlich schon bekannt ist. Ich habe auch in meiner eigenen Berufslaufbahn noch niemanden kennengelernt, der oder die sich jeden Tag seine/ihre Stellenbeschreibung anschaut und alle Aufgaben, die darin nicht vorkommen, rigoros ablehnt. Meiner Erfahrung nach bringen viele Menschen die notwendige Flexibilität mit, neue und manchmal sogar fachfremde Aufgaben auch spontan zu übernehmen, ohne, dass es dafür einen Rollencanvas braucht.
Auch nicht neu ist, dass Mitarbeiter:innen durchaus in unterschiedlichen Funktionen im selben Job tätig sein können. Projektbezogene interdisziplinäre Teams oder Adhoc-Krisenteams wären hier Beispiele. Hier gibt es naturgemäß keine formalisierten Stellenbeschreibungen und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass beim Aufsetzen solcher Teams die Prozesskomponente inklusive Funktionsbeschreibungen oft zu kurz kommt. Ob sich dahinter aber eine organisationale Sensation verbirgt, muss jede:r für sich selbst entscheiden.
Rollen können aber eine sinnvolle Ergänzung eines klassischen Tätigkeitsprofils sein, da sie eine etwas andere Perspektive bieten. In meinem eigenen Arbeitskontext ist mir eine Situation begegnet, die gut illustriert, wie das Abklopfen von Rollenerwartungen Reibungen in der Zusammenarbeit von Teams verringern kann: Einer meiner Klienten ist das Public Affairs Department eines großen Unternehmens. Die Aufgaben des Departments in der Zusammenarbeit mit dem Unternehmensvorstand bestehen zum großen Teil darin, komplexe politische Sachverhalte für eben diesen aufzubereiten. Diese Aufgabe kann man auf unterschiedliche Arten und Weisen lösen. Zum Beispiel, indem man komplizierte politische Papiere an den Vorstand schickt, die dieser nicht versteht bzw. für die er/sie keine Zeit hat, sich darin einzuarbeiten.
In einem Workshop haben wir erarbeitet, was eigentlich die Rolle des PA-Departments in diesem Zusammenhang ist. Das Ergebnis: unter anderem die eines Filters, eines Kondensators und eines Vereinfachers. Damit hatten wir die genaue Umsetzung noch nicht erarbeitet, aber es war ein allgemeines Verständnis dafür entstanden, was sich hinter der reinen Funktion der Abteilung noch verbirgt. Die Methoden zur praktischen Anwendung waren im Anschluss relativ schnell abgefrühstückt.
2.3. Wie hierarchiefrei sind SCRUM und Co. wirklich?
So. Rollen haben wir damit – für den Moment – hinter uns gelassen, kommen wir zu den Hierarchien. Wenn man Rollen als Funktionsbeschreibung und damit – quasi – als inhaltliche Ergänzung zur Position begreift, wird deutlich, dass sich Rolle und Hierarchie zumindest nicht ausschließen. Aus dem oben beschriebenen Beispiel des Rollencanvas wird außerdem deutlich: Ganz ohne Position(ierung innerhalb von Strukturen) geht es auch mit Rollen nicht.
Natürlich nicht – wo mehr als ein Mensch zusammenarbeitet, muss es einen irgendwie gearteten Prozess über die Zusammenarbeit geben. Der kann natürlich auch ausformuliert in einer Stellenbeschreibung oder in Bullets in einem Rollencanvas stehen. Sobald man diese Zusammenarbeit jedoch zu visualisieren versucht, bekommt man eine Struktur und die darin befindlichen Post-Its™ oder Namen werden zu Positionen.
Agile Methoden wie SCRUM beschreiben sowohl die Funktionen als auch die Positionen der einzelnen Teammitglieder sehr genau. Die Teams arbeiten jeweils selbstorganisiert und haben (in der Regel) keinen direkten Vorgesetzten, bzw. maximal jemanden, von dem sie den Projektauftrag erhalten. Alles Weitere organisiert das Team dann für sich. Die anfangs beschriebenen Aufgaben einer hierarchischen Führungsstruktur (Informationen verteilen, Entscheidungen treffen, Weisungen erteilen etc.) werden hier entweder durch das gesamte Team erfüllt oder auf die Mitglieder aufgeteilt.
So hält beispielsweise – in einer typischen Konstellation – der/die Product Owner den Kontakt zum Kunden, klopft Erwartungen und Ansprüche ab und trägt diese ins Team. Er fällt finale Entscheidungen, die das Produkt betreffen und darf auch in den Prozess eingreifen, in dem er die sog. Sprints abbricht. Der/die Product Owner verfügt somit ein Informationsmonopol. Mit diesen Kompetenzen ausgestattet, kommt der/die PO einem klassischen Manager schon sehr nahe. Die Befugnis, die ihm/ihr aber, unter anderem, fehlt, ist die direkte Weisungsbefugnis. So kann er zwar die Kundenanforderungen ans Team geben, diese entscheiden dann aber untereinander, wie sie diese umsetzen.
Das klingt aufs erste Lesen tatsächlich nach einem Unterschied zu klassischen Organisationsformen. Aber: wie viel Weisungsbefugnis hat denn ein Otto-normal–Vorgesetzter? Schon Management-Guru Peter Drucker befasste sich Mitte des vorherigen Jahrhunderts ausgiebig mit der damals noch neuen Gruppe der Knowledge-Worker. Hierbei stieß er auf das folgende Problem: Einem Blue-Collar-Worker kann man sagen, wie er einen Stuhl zusammenbauen soll. Aber kann man einem Copywriter wirklich sagen, wie er einen Text zu schreiben hat (ich hätte hier gerne noch ein weiteres Adverb)?
Manager:innen haben häufig weniger Fachwissen als ihre Mitarbeiter:innen. Ähnlich dem/der Product Owner können sie Anforderungen in Form einer terminierten Aufgabe an diese übergeben und sich dann das Ergebnis anschauen und bewerten.
Ich möchte an dieser Stelle nicht SCRUM im Detail beschreiben, dazu gibt es genug andere Texte im Web. Vielen dieser Texte ist aber die Unterstellung gemein, in SCRUM-Teams würden Entscheidungen idealerweise basisdemokratisch getroffen und Verantwortung entsprechend auch gemeinsam getragen. Wie genau die Entscheidungsfindung im Detail aussieht, da gibt es mehrere Möglichkeiten: Konsensual, kleinster gemeinsamer Nenner, etc. Das klingt, um ehrlich zu sein, nicht besonders agil. Gut, im Zweifelsfall scheint ja der/die PO noch sein Machtwort nutzen zu können.
Jetzt kommt mein Rückbezug zu den drei Dimensionen von Macht und der menschlichen Seite in der Arbeitswelt. SCRUM Teams sind dafür gemacht, möglichst flexibel und ungestört ein Produkt zu entwickeln. Was aber passiert, wenn die Sachebene verlassen wird? Nicht alle Aufgaben sind gleich spannend und Anspruchsvoll. Muss sich da unter den Entwicklern nicht – ganz menschlich – eine Hackordnung entwickeln?
Und wie werden Personalentscheidungen gefällt? Wie passiert Mitarbeiter:innenentwicklung? Natürlich können sich Teammitglieder gegenseitig Feedback geben – aber wer entscheidet über Gehaltserhöhungen, Beförderungen oder Entlassungen? Diese Rollen sind in SCRUM-Teams naturgemäß nicht vorgesehen, müssen aber von irgendeiner Stelle im Unternehmen besetzt werden. Jetzt könnte das Argument kommen: Ja, natürlich muss nicht ein ganzes Unternehmen aus SCRUM-Teams bestehen! Es mag Zwecke geben, für die diese sehr spezielle Art der Teamstruktur genau die richtige ist. Was aber passiert, wenn man sie skaliert, zeigt sich am Beispiel der Holakratie: die Hierarchie der Kreise. Bei dieser Organisationsart sollen alle klassischen Hierarchien durch selbstorganisierte Teams ersetzt werden.
Allein das Wort Unterkreise lässt aber indes schon vermuten, dass es ohne Hierarchie nicht geht. Und tatsächlich: Die Anordnung der Kreise in der Holacracy zueinander ist hierarchisch. Die Aufgaben und Ziele werden aus den jeweils höheren Kreisen vorgegeben. Diese können ihre Unterkreise sogar gänzlich auflösen.
Und an Strukturen mangelt es nicht – die Holacracy Constitution beschreibt Prozesse und Abläufe sehr viel detaillierter, als es in klassischen Organisationsstrukturen der Fall ist.
Was schon bei SCRUM auffiel: die Abwesenheit von befugten Personen, die eben auch mal schnell und weitreichend Entscheidungen fällen könnten (schönes Beispiel: Kennedy in der Kuba-Krise), muss durch sehr genau durchdachte Strukturen ausgeglichen werden. Es muss viel mehr abgestimmt und koordiniert werden – und am Ende gibt es doch Aufgaben, die nur schwer im Team gelöst werden können.
Und nun?
Mein Ausflug in die Welt der Rollen und Kreise war bei weitem nicht vollständig – aber hoffentlich trotzdem rund. Wie zu Beginn angekündigt, folgt hier nun keine finale Einschätzung oder Empfehlung. Es lassen sich aber ein paar Learnings mitnehmen, aus denen Sie für die nächste Managementrunde vielleicht ein paar kluge Nachfragen ableiten können:
- Hinter Hierarchien und auch Führung im klassischen Sinne steckt mehr als nur Weisungsbefugnisse. Und auch hinter diesem Terminus können sich alle möglichen Kompetenzen verbergen – oder eben auch nicht.
- Es gibt Entscheidungen, die nur schwerlich (konsensual) im Team getroffen werden können (und sollten). Ja – Gruppenentscheidungen können auf verschiedenen Wegen gefällt werden, aber auch dafür muss man sich erstmal entscheiden. Es gibt Situationen, die erfordern schnelles Handeln und die entsprechende Übernahme von Verantwortung. Andere Themen, wie Personalentscheidungen, sind in Teilen auch zu sensibel für die große Runde.
- Hierarchien werden nicht verschwinden, nur weil man sie formal abschafft. Auch in hierarchischen Strukturen existieren informelle Nebenströme und wer in welchen Runden am meisten Einfluss hat, muss sich nicht am Organigramm ablesen lassen. So hat auch in agilen Teams ein Gatekeeper, der alle Informationsflüsse bündelt, diesbezüglich eine Überlegenheit.
- Agile Organisationsmodelle sind sehr eng strukturiert – wenn es um die Sachebene geht. Aber auch in der Arbeitswelt finden persönliche Grabenkämpfe statt, die geschlichtet und moderiert werden müssen. Diese Lücke muss irgendwie geschlossen werden.
Den letzten Gedanken finde ich besonders schön. Ich habe immer wieder versucht, den Faktor Mensch in meine Überlegungen stärker einzubeziehen. Gerade hier tut sich mir in zahlreichen Managementkonzepten ein blinder Fleck auf. Es wird zwar viel davon gesprochen Menschen mitzunehmen – aber was soll das überhaupt bedeuten? Vielleicht wollen Mitarbeiter:innen klare Strukturen und Ansprechpartner – sprich: Hierarchien? Was passiert, wenn Hierarchien entfernt werden – wie gehen Mitarbeiter:innen damit um, wenn eine schlichtende Instanz fehlt? Setzt sich der/die dominanteste durch? Ist Team nicht umsonst eine Abkürzung für Toll Ein Anderer Machts? All diesen Fragen möchte ich mich in meinem zweiten Teil zum Thema Rollen vs Hierarchien widmen: Können wir gar nicht anders, als uns hierarchisch zu organisieren?
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