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Wenig hilfreiche Tipps für tolle Texte und ein Hinweis

Lesen und Schreiben, das lernt man in der frühen Schulzeit. Kann also quasi jede:r? Die recht umfangreiche Beratungsliteratur, der Markt für Schreibcoachings, die vielen offenen Stellen für Copywriter, Texter oder Content Creators sowie die angenehme Auftragslage für Berufsschreiber sprechen eine andere Sprache. Denn ganz offenbar ist schreiben nicht gleich schreiben.

Schreiben ≠ Schreiben, weil Text ≠ Text

Text kommt in verschiedenen Gattungen. Texten können verschiedene Intentionen zugrunde liegen und mit ihnen werden verschiedene Zwecke verfolgt. Texte finden an verschiedenen Orten statt, die jeweils einen gewissen Einfluss auf die Stilistik haben können.

Zum Beispiel sind die Texte auf den Rückseiten von Shampoo-Flaschen meist ausgesprochen nüchtern und kurz gehalten, auf das Nötigste beschränkt: die Inhaltsstoffe. Klar, hierzu sind die Hersteller verpflichtet. In bestimmten Situationen liest der/die eine oder andere das sogar recht gern und sieht über die eigentliche Intention dieser Textes hinweg.

Was – Texte tragen Intentionen? Klar: Texte sollen zum Beispiel Dinge erklären, tiefer in ein Thema eintauchen, sollen mitreißen, die Tonalität für den Abend festlegen, Inhaltsstoffe auflisten oder aber eine ganz bestimmte Botschaft in den Gehirnen der Zuhörenden verankern. Texte können für Reden, für Präsentationen, für ein Hörspiel oder fürs Theater geschrieben werden. Texte können in Bücher, Whitepaper, Moderationskarten, einen Teleprompter, Etiketten, Grußkarten oder auf Fassaden geschrieben werden.

Und je nachdem, welche Botschaft in welchem Rahmen an wen gerichtet werden soll, wird der Text am Ende anders aussehen, anders klingen, sich anders anfühlen.

Texte, die eine Absicht verfolgen, haben etwas gemeinsam. Und es ist nicht die Art, wie sie geschrieben werden. Sondern, dass man sie von der gewünschten Absicht her denken mussOftmals in der Ratgeberliteratur angefundene, pauschale Empfehlungen sind daher mit Vorsicht zu genießen. Die folgenden heißen Tipps findet, wer in der großen, bunten Suchmaschine nach “Tipps für gute Texte” sucht … ob sie wohl hilfreich sind?

“Kurze, einfache Sätze!”

Gefunden bei Anna Hatt. Grundsätzlich ist das nicht falsch. Grundsätzlich sind kurze Sätze gut. Man darf es aber nicht übertreiben. Kurze Sätze wirken schnell hastig. Sie erscheinen ungelenk. Wie bei der “einfachen Sprache”. Aber nicht alle Menschen brauchen einfache Sprache. Manche mögen auch längere Sätze. Längere Sätze haben einige Vorteile. Man kann mit ihnen auch zwischen den Zeilen schreiben. Das kann man mit kurzen Sätzen nicht. 

… okay, ich nehme an, dass klar wird, was ich meine. 

Generell ist es sinnvoll, möglichst klar zu schreiben – und der Appell, kurze Sätze zu schreiben, ist ein Instrument dazu. Wer zu Mäander-Sätzen neigt, sollte zumindest hin und wieder ein paar knackige Phrasen einstreuen. Allerdings gar nicht so sehr, weil das an sich gut sei, sondern, weil es Texten Rhythmus und Melodie verleiht, wenn Sätze unterschiedlich lang sind. 

Außerdem: Nicht jeder längere Satz ist automatisch unverständlich. Es kommt darauf an, worum es überhaupt geht, in welchem Rahmen der Text gelesen (oder gesprochen) wird und wer meine Zielgruppe ist.

Gerade für Reden oder andere gesprochene Texte empfiehlt es sich tatsächlich sehr, auf die Länge der einzelnen Sätze zu achten. Werden sie abgelesen, müssen sie auf eine Karteikarte, Moderationskarte oder eine Teleprompterseite passen, damit der/die Vortragende auch nach nur mittelmäßiger Vorbereitung die Chance hat, eine beschwingte Rede abzuliefern.

“Sei geizig mit Fremdwörtern und Lehnwörtern.”

Anna Hatt rät zudem, auf verständliche Wörter zu setzen bzw. Fachbegriffe zu erklären. Auch ihr Kollege Michael Schär schreibt auf Bombasel.ch: “Mit jedem Fremdwort verlierst du einen Leser, der bis zum Ende liest. Leser neigen dazu, mit dem Lesen aufzuhören, wenn sie ein Wort nicht verstehen.”

Naja. Das ist zwar nicht vollkommen abwegig. Aber auch nicht ganz richtig.

Branchen haben ihre jeweils eigene Terminologie, einen Jargon, der in der jeweiligen Industrie genutzt und verstanden wird. In Texten, die sich an Fachleute einer Branche richten, auf die Fachtermini der Branche zu verzichten, wäre nicht nur komisch, sondern eventuell auch kontraproduktiv: Schließlich wird der natürliche Umgang mit dem Branchenjargon auch als Zeichen der Kompetenz wahrgenommen. Wer sich an klassische Orchestermusiker richtet, sollte einen Begriff wie Partitur nicht erklären, in einem Text, der in einer Fachpublikation für Controller:innen erscheinen soll, muss man Akronyme wie VUCA oder P&L nicht erläutern und in einer Keynote bei einem Startup-Event dürfen Buzzwords wie Buzzwords oder Entrepreneurship etc. vorkommen – die Leute wissen schon, was gemeint ist. Zumindest muss man ihnen die Chance geben, so zu tun.

Mehr Tipps, Kommentare, Rants, zusammenhängend oder zusammenhanglos, meistens aber zünftig, weil über unsere Zünfte: PR- und Marketing aus dem Kibibit-Nest in Dein Mailpostfach:

“Schreib, wie Du sprichst.”

Gefunden bei Hubspot

Auch hier: ein klares Jein. Einerseits wird Sprache lebendiger und die Gedankengänge verständlicher, wenn man so schreibt, wie man spricht. Auch hat man die Chance, authentischer rüberzukommen, als wenn man sich hinter einer Sprachfassade versteckt, die nicht zum Sender passt. Andererseits muss authentisch nicht notwendigerweise zum Anlass, zur Zielgruppe oder zum Rahmen passen. Weiterhin: Was heißt es überhaupt, so zu schreiben, wie man spricht? Wie spricht man denn? Der Tipp klingt ein bisschen so, als würde er unterstellen, man sei im mündlichen Ausdruck generell flapsiger, umgangssprachlicher als in der Schriftsprache. Aber auch das trifft gar nicht auf alle zu. 

Als ich vor einiger Zeit ein längeres Interview zweitverwerten wollte, habe ich es transkribiert. Spätestens in diesem Moment wurde sehr klar: Das würde niemand lesen wollen. Ich musste es ziemlich aufwändig editieren. Mündlicher und schriftlicher Ausdruck sind manchmal Welten voneinander entfernt. Wer druckreif spricht, kann gern auch so schreiben. Auf die wenigsten trifft das zu.

“Nie mehr als acht Zeilen!”

Gefunden bei Bombasel

“Publiziere keine Texte mit Abschnitten, die länger als acht Zeilen sind. Leser*innen sind ungeduldig und das Auge ist sprunghaft. Online sind deine Leser*innen nach vier Zeilen weg.”, schreibt Michael Schär bei Bombasel.

Auch hier kann man – und sollte man – einhaken. Es gibt tolle Texte, die sich weder sonderlich kurz fassen, noch dieser Acht-Zeilen-Maximum-Regel folgen. Diese Texte verlangen den Leser:innen etwas ab. Und das wiederum kann in verschiedenen Kontexten genau richtig sein. Dieses Abverlangen wird nämlich nicht von allen als unerwünschte Herausforderung betrachtet, sondern oftmals vielmehr als eine Art intellektuelle Anerkennung.

Mehr dazu im kibibetter#6: Was macht einen Newsletter zu einem geilen Newsletter?

“Vermeiden Sie Substantivierungen.”

Gefunden bei Content-Marketing-Star

Oh. Jap. Wirklich guter Tipp.

“Was man spontan schreibt, ist am besten."

Nö. Was man spontan schreibt, kann als Textübung dienen, oder dazu, die eigenen Gedanken für sich zu memorieren.

Die allermeisten Spontan-Texte sind aber ziemlicher Murks. Wer nicht jede Menge schreibt und somit eine gewisse Routine erlangt hat, schafft es selten, wirklich spontan eine elegante Storyline oder schlüssige Argumentation zu verfassen. Auch Recherche etc. gehört dazu. Dann die Redaktion, das Ausbessern, das Lektorat … ein erster Aufschlag ist selten mehr als … nun, ein erster Aufschlag halt.

“Streiche alle Floskeln, Phrasen und Redewendungen aus deinem Text.”

Gefunden bei: Anna Hatt

Hohles Phrasendreschen ist oft wenig zielführend. Aber gilt das immer? Würde man wirklich sämtliche Floskeln und Redewendungen aus seinen Texten streichen, säße man oft vor recht blutarmen Gebilden. Oh, das war eine Redewendung, oder?

Über Floskeln und Redewendungen kann man Teile seiner Persönlichkeit in seine Texte einfließen lassen. Wer schreibt, merkt irgendwann, dass man ein bestimmtes Vokabular gehäuft verwendet und andere Wendungen und Floskeln eher meidet. Stattgegeben: Insbesondere Texte im Bereich digitales Marketing sind keine Prosa – sie verfolgen bestimmte, meist nüchterne Informationszwecke, daher sind persönliche Noten hier oft fehl am Platze. Auch in Bedienungsanleitungen ist typischerweise ein unpersönlicher Tonfall angebracht. Nichtsdestotrotz: In beiden Genres gibt es aus guten Gründen Ausnahmen. Und: Wer die Floskel nicht ehrt, ist den Aphorismus nicht wert. 

GEWINNEGEWINNEGEWINNE: Wer hat Bock, die Floskeln, Phrasen und Redewendungen in diesem Artikel zu zählen? Wer eine Tabelle mit allen Floskeln, Phrasen und Wendungen an piep@kibibits.de schickt, in der dieselbe Zahl notiert ist, die ich notiert habe, bekommt einen tollen Kibibits-Kühlschrankmagnet!

Fazit: Dieser heiße Tipp ist natürlich Quark.

Botschaften, die ankommen

Das durchschnittliche menschliche Gehirn muss pro Tag 34 Gigabyte Informationen verarbeiten. Demgegenüber steht unsere sinkende Aufmerksamkeitsspanne: Die meisten Menschen schaffen es heute lediglich 8 Sekunden sich auf einen Sachverhalt zu konzentrieren. Wie also platziert man Botschaften so, dass sie nicht auch noch im Hintergrundrauschen versinken? Die Antwort im Blog.

“Halte dich mit Relativsätzen zurück.”

Dieser seltsame Tipp, dem ich an verschiedenen Stellen begegnet bin, erscheint mir wenig sinnvoll. Derart gelagerte Weisheiten scheinen insbesondere dazu geeignet, die ohnehin schon dezimierte Aufnahmefähigkeit der Rezipient:innen weiter zu verringern.

Wie so oft, gilt auch hier: Es kommt drauf an.

Texte für einen Sportschuh-Onlineshop werden eine andere Satzstruktur bekommen, als Rezensionen belgischer Autorenfilme. Je komplexer das Sujet, desto komplexer die Sprache, die es abzubilden sucht.

Allein dieser Absatz hier hat schon zwei Relativsätze. Zu kompliziert? Wohl eher nicht.

“Verwende Bilder.”

Gefunden bei Texterclub.de

Ja.
Aber.

Viele Content Marketer halten sich daran: Sie fügen überall irgendwelche Bilder ein. Aber diesen Kollegen von Unsplash hat man mittlerweile viel zu oft gesehen:

Wie man schreibt: Schlechte Tipps für gute Texte. Stockfotos sollten nicht allzu gehäuft Verwendung finden. Dieses hier hat man schon zu oft gesehen.
Wie man schreibt: Schlechte Tipps für gute Texte. Stockfotos sollten nicht allzu gehäuft Verwendung finden. Dieses hier hat man schon zu oft gesehen.

Und auch solche pseudo-futuristischen Grafiken mit Händen, die auf Hologramm-Icons klicken werden seit Jahren inflationär verwendet:

Wie man schreibt: Schlechte Tipps für gute Texte. Stockfotos sollten nicht allzu gehäuft Verwendung finden. Dieses hier hat man schon zu oft gesehen.

Bilder sollten etwas verdeutlichen, was der Text nicht schafft. Oder illustrieren. Oder eine zusätzliche Informationsebene schaffen. Und wenn man Bilder hinzufügt, muss man – insbesondere – in der digitalen Welt auf ein paar Kleinigkeiten achten: auf ausreichende Qualität bei gleichzeitig geringer Dateigröße, auf aussagekräftige ALT-Texte sowie auf sprechende Dateinamen. 

Einfach nur irgendwelche Bilder einfügen? Das ist eher kontraproduktiv.

“Sei sparsam mit Adjektiven.”

Wieso?

Texte über Toaster, Laser-Graviermaschinen, Bogenschieß-Handschuhe strotzen vor Adjektiven, bei Rezepten (beispielsweise für magere Sülzwurst) oder Whisky-Beschreibungen komme ich kaum drumherum und sogar diese Beschreibung eines Orangensaft ist alles andere als adjektivarm

Offenbar kann man Texte mit hochtrabenden Adjektiven zu unlesbaren, kompliziert verklausulierten Bleiwüsten verwandeln. Okay. Aber bis dahin muss einiges passieren. Bis dahin: Sachen einfach beschreiben, wie man sie halt beschreibt. Mit Wie-Wörtern.

“Verwende einen Informationspfad.”

Auf einer Text-Tipps-Seite habe ich diese Technik gefunden: “Der Informationspfad ist der Wegweiser für deine Leser*innen. Jeder Satz beginnt mit Information, die der Leser bereits weiss. Und endet mit einer Information, die neu ist. Mit dieser neuen Information beginnt der neue Satz. Und so weiter.”

Hmmm.

Ein Informationspfad ist erstmal nicht verkehrt. Als Marketer denke ich dabei etwa: Jo, ein (verlinktes!) Inhaltsverzeichnis kann Leser:innen helfen schnell zu den Informationen zu springen, die sie suchen. Ein wohlstrukturiertes Textbild hilft uns Autoren, unsere Argumentation zu gliedern – und den Leser:innen, sie nachzuvollziehen. Auf komplexeren Webseiten wird oft auf eine sogenannte Breadcrumbs-Navigation zurückgegriffen: Hierbei wird quasi der Dateipfad bzw. der Klickpfad der User im Header der jeweiligen Seite angezeigt, was die Navigation erleichtert. Auch dies könnte man Informationspfad nennen. Der Tipp von oben ist hingegen offensichtlich Blödsinn.

Fazit / ein Hinweis

Sicherlich gibt es den einen oder anderen universellen Text-Tipp – beispielsweise: Achte darauf, dass Orthografie und Grammatik stimmen. Oder: Lass deinen Text von jemandem Korrekturlesen. Aber das sind entweder Selbstverständlichkeiten oder Banalitäten.

 

Für alle anderen Texte gilt, dass sie ihrem Sujet dienen. Ihr Stil wird sich darüber hinaus der jeweiligen Zielgruppe und außerdem ihrem jeweiligen Zweck andienen müssen. Texte über Joghurt für eine Einzelhandels-Shopseite werden anders klingen als soziologische Texte über Auswirkungen der Volatilität von Kryptowährungen auf den Kapitalmarkt. Und das ist völlig in Ordnung so.

Die meisten Tipps für tolle Texte sind allein deshalb schon Quark.

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